Corona trifft auf Kapitalismus

In dem nachfolgenden Text beschäftigen wir uns mit der Frage, welche Auswirkung Corona-Pandemie auf die kapitalistische Gesellschaft hat und warum. Der Text ist sehr dicht geschrieben und soll als Diskussionsgrundlage dienen. Viele Aspekte sind auf Platzgründen nicht ausführlich ausgeführt. Weitaus detaillierter sind die Texte des GegenStandpunkt, die weiter unten verlinkt sind.

Wer will, kann gerne mit dem Text arbeiten. Für freuen uns über Anmerkungen, Kritiken und Fragen zu dem Text. Viel Spaß beim Lesen.

Corona trifft auf Kapitalismus

  1.  Ökonomie:

    Was ist das eigentlich für ein Virus, welches die Börse krachen lässt und lauter Arbeitsplätze bedroht? Es lohnt sich zuerst ein Blick auf die Marktwirtschaft: die lohnarbeitenden Menschen werden von Unternehmen eingestellt, damit sie einen Gewinn erwirtschaften. Dieser Gewinn - die Differenz zwischen dem investierten Kapital, welches als Kost verbucht wird und dem Verkaufserlös - ist es, um den es den Unternehmen geht: also eine Vermehrung ihres Geldes. Die Menschen, die einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Lebenszeit und -kraft für den Dienst an der Geldvermehrung anderer aufbringen, bekommen dies mit einem Lohn vergütet. Da dieser ebenfalls eine Kost für das Unternehmen darstellt, welche sich negativ auf den Gewinn auswirkt, fällt er notorisch niedrig aus. Gleichzeitig ist es dieser Lohn, mit welchem ein Großteil der Bevölkerung ihren Lebensunterhalt bestreitet. Davon werden Mieten bezahlt, Lebensmittel und Kleidung erworben, es wird für sogenannte Luxusgüter und Urlaub gespart und einiges mehr. Der Lohn wird demnach dafür ausgegeben, um die Produkte, welche die Unternehmen auf den Markt werfen, zu konsumieren. Die komplette Ökonomie mit ihren Bereichen der Produktion, Konsumtion, Verpachtung und Vermietung, Lohnzahlung usw. wird vom Staat besteuert. Die so aus der Produktivität der nationalen Ökonomie gewonnenen Einnahmen bilden die  finanzielle Potenz des Staates.

    Durch das Virus sind nun viele Menschen von Krankheit bedroht, wodurch sie sowohl als Produzenten, als auch als Konsumenten ausfallen. Das ist für alle Seiten ziemlich schlecht. Die Unternehmen sind mit einem einbrechendem Umsatz konfrontiert, der Staat von daraus resultierenden fehlenden Steuereinnahmen und die arbeitende Bevölkerung, die sowieso nur Geld bekommt, wenn sie die Interessen der Unternehmen nach deren Maßgabe erfüllt, muss um ihre Existenz bangen, wenn sie aufgrund von Kündigungen und Lohnkürzungen ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten kann.Der sich abzeichnende Einbruch von Umsatzzahlen aufgrund von fehlendem Konsum und sinkender gewinnbringender Arbeit lässt viele Anleger¹ zögern und ihre Kapitale zurückziehen, um abzuwarten, wie sich der Markt entwickelt. Wenn es sich abzeichnet, dass potentielle Investitionsgeschäfte nicht rentabel sind, sie also voraussichtlich keinen ausreichenden Gewinn abwerfen, dann bleiben die Investitionen aus.

    Da noch der kleinste Betrieb in der kapitalistischen Wirtschaft auf Krediten basiert, besteht der ständige Druck diese Kreditlast zurückzuzahlen und ebenfalls neue Kredite aufzunehmen, um in der Marktkonkurrenz mithalten zu können. Der produzierte Gewinn muss dabei nicht nur dem Anspruch der Betriebseigentümer genügen, sondern auch den Rentabilitätsansprüchen der Kreditgeber. Hiermit sehen sich die lohnarbeitenden Menschen mit einem schier unendlichen Bedürfnis nach Geld konfrontiert, dem sie gerecht werden sollen.

    Durch die fehlenden Investitionen und den Änderungen im Konsumverhalten sehen sich die Unternehmen genötigt, ihre Angestellten zu entlassen bzw. in Kurzarbeit zu schicken, um weiterhin ihrem Gewinnstreben nachkommen zu können. Sie unterliegen dem marktwirtschaftlichen Sachzwang, weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben.  Mit dem Wegfallen von Investitionen, der Rückforderung der eingesetzten Kapitalsummen und dem daraus resultierenden Einbruch des Marktes ist Krise.

  2. Der Staat:

    Die materielle Grundlage des Staates ist seine kapitalistische Ökonomie, die er ins Recht setzt und ihr eine Verlaufsform gibt. Er gestattet es seinen Bürgern als freie Eigentümer ihrem Privatinteresse nachzugehen und Geld zu verdienen. Mit dem Recht verpflichtet er sie gleichzeitig darauf, sich an die von ihm gesetzten Regeln des Geldverdienens zu halten, also auch das konkurrierende Interesse der Mitbürger zu respektieren. Seine ökonomische Macht basiert auf der Produktivkraft seines Volkes, welches er besteuert.

    Weil seine Bevölkerung also möglichst ergiebig arbeiten soll nimmt er nach dieser Maßgabe die Gesundheit seiner Bevölkerung in Augenschein: Es braucht einen Gesundheitsstand, der sowohl für die Unternehmen sicherstellt, dass die Lohnabhängigen die gewünschte Leistung erbringen, als auch für den Staat gewährleistet, dass es ausreichend Menschen gibt, die für die verschiedenen Funktionen im Staat eingesetzt werden können. Die arbeitende Mehrheit darf nicht völlig verschlissen werden und muss diesen Ansprüchen genügen. Aus diesem Grund ist auch von der Volksgesundheit die Rede: es geht nicht um den Gesundheitsstand der einzelnen Individuen, sondern um die Gesamtheit der Bürger eines Staates.

    Die aus einem im Kapitalismus normalen Arbeitsleben resultierenden Unannehmlichkeiten, seien es Herz-Kreislauf-Probleme, Krebs, Burn-out, Depressionen, kaputte Bandscheiben, Lungenkrankheiten² und mehr, werden durch den Staat betreut. Er erlässt  Arbeitsschutzgesetze, welche in die Freiheit der Unternehmer eingreifen und sie dazu nötigen, die Schädigungen an ihren Angestellten nur nach hoheitlicher Grenzsetzung vorzunehmen.  Das staatliche Gesundheitswesen, welches durch die Besteuerung der Arbeitnehmer finanziert wird³, betreut die Volksgesundheit in der Art, dass „Zivilisationskrankheiten“, auf die Gesamtheit der Bevölkerung gerechnet, kompensierbar bleiben.

    Im Falle einer Seuche wie Corona, von welcher viele Menschen gleichzeitig betroffen und arbeitsunfähig gemacht werden, bedient sich der Staat seiner dafür vorgesehenen Gesetze und nimmt weitreichende Einschnitte in der Wirtschaft sowie im Alltagsleben seiner Bürger vor. Er schließt die Grenzen, verbietet Veranstaltungen, verordnet Quarantäne, mancherorts wird der Ausnahmezustand und Ausgangssperren verhängt. Die daraus resultierende Schwächung seiner Wirtschaft dient dem Aufrechterhalten der Produktivkraft seiner Bevölkerung und damit wiederum seiner Wirtschaft. Der Staat muss dabei immer wieder neu abwiegen, wie viel Schaden er seiner Wirtschaft durch die Einschnitte zumuten kann, Um den angeschlagenen Unternehmen über die Dauer der Krise hinwegzuhelfen werden verschiedene Finanzierungshilfen in Anschlag gebracht. Mit dem Kurzarbeitergeld zum Beispiel werden die Löhne subventioniert, also ein Teil der Lohnkosten übernommen, obwohl die Arbeitskraft nicht produktiv tätig ist.  Das heißt für Arbeitnehmer, dass sie für einen Bruchteil ihres Gehalts immerhin noch einen Arbeitsplatz haben. Dem Arbeitgeber erspart es die Lohnfortzahlung und ebenfalls die Entlassung, so dass er weiterhin auf das betriebsgeschulte Personal zurückgreifen kann. Die vom Staat ausgegebenen Kredite stellen das Geld zur Verfügung, welches für weitere Investitionen nötig ist und was Banken und andere Kapitalgeber aus oben aufgeführten Gründen derzeit eher spärlich bereit sind zu investieren. Mit seinen Maßnahmen zur Finanzierung stiftet er ebenfalls die benötigte Kaufkraft in der Bevölkerung und schafft Geschäftsgelegenheiten für Unternehmen, in die wiederum andere Wirtschaftsakteure investieren können. Die Maßnahmen betreffen dementsprechend Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen und dies in Bezug auf die Gesamtwirtschaftliche Produktion innerhalb des Staates.

    Dass der Staat auch restriktiv seine Gewaltmittel zum Einsatz bringt, daraus wird kein Geheimnis gemacht. Die Argumente dafür leuchten zuweilen  vielen ein: es ist die sachliche Vernunft, die dort waltet. Dass jedoch die medizinischen Maßnahmen per Zwang gegen die Bevölkerung durchgesetzt werden müssen lässt darauf schließen, dass dieser Akt der Vernunft nicht im allgemeinen Interesse liegen kann. Warum das so ist, erklärt sich wiederrum mit einem Blick auf die Ökonomie. So ist es jener Staat, der die Menschen als freie Rechtssubjekte gegeneinander konkurrieren lässt, der sie nun an die Kandare nimmt und die gewährte Freiheit zum Geldverdienen massiv einschränkt.

  3. Das bürgerliche Individuum:

    Die Bürger der Demokratie, welche vom Staat als freie und gleiche Rechtssubjekte in Konkurrenz zueinander gesetzt werden, verfolgen ihre Interessen dementsprechend gegeneinander. Der Staat tritt für sie als funktionaler Überbau in Erscheinung, der es den Rechtssubjekten ermöglicht, ihre Interessen gegeneinander durchzusetzen und gleichzeitig schützend tätig ist, indem er die Art und Weise der Interessenkonfrontation regelt. So stellt die Staatsgewalt z.B. sicher, dass niemand versklavt oder gegen seinen Willen zu etwas gezwungen wird. Die Bürger begreifen die Möglichkeit, sich nach den erlaubten Regeln gegen andere durchzusetzen, als ihre Chance, die eigenen Interessen zu bedienen.

    Deshalb wird bei den  durchgeführten Maßnahmen    Gemurre laut, immerhin handelt es sich hierbei um Eingriffe in die Freiheitsrechte, die das Austragen der beschriebenen Konkurrenz ermöglichen. Andererseits ist es aber auch der Staat, der tatsächlich die Volksgesundheit schützt und somit im Interesse der bürgerlichen Konkurrenzsubjekte aktiv wird. Da die Bürger sich selbst ziemlich gut kennen, findet eine Einsicht darin statt, dass die medizinischen Notwendigkeiten zur Eindämmung der Pandemie per Gewalt durchgesetzt werden müssen. Eine Konsequenz aus den staatlichen Maßnahmen ist die Solidarität, welche nicht nur geleistet, sondern auch gefordert wird. Das sich niemand den Verzicht auf das eigene Lebensmittel Lohn leisten kann, legt Zeugnis über die massenhafte prekäre Lage der Arbeitnehmer ab, und verweist auf  die Untauglichkeit dieses Mittels für ein gutes Leben.

    Ebenfalls wird diese Solidarität auch vom Staat  eingefordert und beworben. Die Menschen sollen zusammenhalten für das Funktionieren der gesellschaftlichen Ordnung. Das Virus bedroht alle hier lebenden Menschen gleichermaßen, so heißt es, wobei sich gleichzeitig die materiellen Unterschiede in den Lebenslagen aufzeigen: wessen Existenz gesichert ist, der hat wenig zu befürchten als die Krankheit selbst. Für allen anderen droht bitterste Armut. Der beschworene höhere Wert der Gemeinschaft, welche durch die staatliche Einteilung seines Volkes überhaupt erst zustande kommt, findet sich in der kollektiven Moral wieder: Zusammenhalt trotz drohender Massenarmut, daheim bleiben trotz des Zwangs arbeiten zu gehen. Dies spiegelt sich auch in den unterschiedlichen Charakteren der Hüter der Volksmoral wider, wenn Masseneinkäufe skandalisiert und nicht etwa als Resultat einer erbitterten Konkurrenz um Lebensmittel ausgemacht, sondern der schlechten Menschennatur angedichtet werden.

    Wird ein Mangel an dem staatlichen Vorgehen festgestellt ,  äußert er sich immer in die gleiche Richtung: als Appell an die Herrschaft. Sei es der Ruf nach Lockerungen oder Verschärfungen, für die Demokratie typisch ist die Anrufung der Regierenden, die jeweiligen Umstände den Interessen entsprechend zu ändern. Sie bleiben damit eine Frage der gewünschten Erlaubnis, wodurch wiederum jene, die dagegen verstoßen, als Aufrührer erscheinen.4

    An dieser Stelle kann sich die Frage gestellt werden, was denn die Gründe dafür sind, warum Kneipen trotz Verbot geöffnet haben und Menschen andernorts trotz Ausgangssperre auf die Straße gehen. Da gibt es zum einen die bereits aufgeführten materiellen Zwänge: ohne Erwerbsquelle ist die Existenz von unzähligen Menschen gefährdet. Zum anderen äußert sich, neben dem einfachen Wunsch nach frischer Luft und Sonne, das Rechtsbewusstsein, der trotzige Anspruch des Rechtssubjekts auf seine bürgerlichen Freiheiten. Das sollte man durchaus ernst nehmen. Wer sein Leben lang vom Staat die Erlaubnis bekommen hat, sich frei zu bewegen, der hat nicht selten kein Einsehen darin, wenn eben dieser Staat es ihm wieder verbietet. Die reelle Gewalt des Staates wird nicht als Garant, sondern unterworfen unter das Freiheitsrecht angesehen, über welche sich auch der Staat nicht hinwegzusetzen hat.

1 Banken, Fonds, Versicherungen, Stiftungen, Staaten uvm.; also Akteure die über ausreichend Geld verfügen um es zwecks seiner Vermehrung als Kapital zu verwenden

2 Dass eine so große Anzahl an Bürgern überhaupt Vorerkrankungen am Lungensystem hat und somit zur Corona-Risikogruppe gehört, resultiert aus der enormen Luftverschmutzung, die der Staat seiner Bevölkerung im Rahmen diverser Grenzwerte zumutet. Die Abwägung zwischen Volksgesundheit und Einschränkungen seiner Wirtschaft in Form von Grenzwerten bei der Luftverschmutzung gehört zum täglichen Geschäft des Staates bei der Verwaltung seiner kapitalistischen Wirtschaft. Ein Beispiel dafür ist die Diskussion um Grenzwerte im Zusammenhang mit dem „Diesel-Skandal“.

3 Eine gängige Heuchelei ist die Behauptung, Arbeitgeber und Arbeitnehmer würden sich den Betrag teilen. Faktisch verbucht der Arbeitgeber diese Steuer schlichtweg unter den Gesamtlohnkosten, also dem Betrag der nötig ist, damit ihm jemand seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt.

4 Es gibt auch einen anderen Umgang mit dem gleichen Standpunkt: es tummeln sich derzeit wieder vermehrt Theorien, was der Staat denn eigentlich mit seinen Maßnahmen bezweckt. Die Gleichung ist relativ plump: für die Gefährlichkeit des Virus sind die staatlichen Schritte übertrieben, also muss etwas Anderes dahinterstecken. Verschwörungstheoretiker sehen ihr ideal von guter Herrschaft nicht erfüllt und vermuten messerscharf eine böse Absicht hinter dem hoheitlichen Wirken. Die narzisstische Kritik: weil der Staat nicht das tut, was ich von ihm erwarte, muss er schlecht sein.